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Trinkgeld und Steuerrecht

Trinkgeld und Steuerrecht in der Gastronomie: Eine umfassende Analyse (1990–2025)
1. Gesetzliche Grundlagen und historische Entwicklung
Seit den 1990er Jahren unterliegt die steuerliche Behandlung von Trinkgeldern in Deutschland einem klaren Wandel. Während sie anfangs nur begrenzt steuerfrei waren, wurde ihre rechtliche Stellung insbesondere mit der Steuerreform 2002 grundlegend neu geregelt.

📌 Freibetragsregelung in den 1990er Jahren
§ 3 Nr. 27 EStG a.F.: Bis zum Jahr 2001 galt eine jährliche Freigrenze von 1.224 €.
Trinkgelder bis zu diesem Betrag waren steuerfrei, der überschreitende Anteil jedoch steuerpflichtig.

Arbeitsrechtliche Zuordnung: Nach § 611a BGB (alt) stand das Trinkgeld klar dem Arbeitnehmer zu. Arbeitgeber durften es nicht einbehalten oder umverteilen.

📌 Die Steuerreform 2002 – entscheidender Wendepunkt
Mit dem Steuersenkungsgesetz 2002 trat § 3 Nr. 51 EStG in Kraft:

Trinkgelder sind seitdem vollständig steuerfrei, wenn sie

freiwillig vom Dritten (Kunden) gezahlt werden,

ohne rechtlichen Anspruch erfolgen (kein Bedienungsgeld etc.),

und zusätzlich zum geschuldeten Arbeitslohn geleistet werden.

👉 Folge: Es gilt eine pauschale Steuerbefreiung, unabhängig von der Höhe – sofern die Bedingungen erfüllt sind.

📌 § 107 Abs. 3 Gewerbeordnung (GewO)
Seit 2003 ausdrücklich geregelt:

Trinkgeld ist eine freiwillige Zahlung eines Dritten an den Arbeitnehmer und kein Bestandteil des Arbeitslohns. Es steht allein dem Arbeitnehmer zu.

Diese Klarstellung wurde später durch Urteile (z. B. BAG 2017 – Az. 5 AZR 553/16) bestätigt.

2. Aktuelle Steuerpraxis und Gerichtsurteile
🧾 Höhe des Trinkgelds
Finanzgericht Köln (2022, Az. 6 K 3170/21):
Eine einmalige Zahlung von 1,3 Mio. € wurde nicht als steuerfreies Trinkgeld anerkannt, da sie den Rahmen des „allgemeinen Verständnisses“ deutlich überstieg.

🚫 Rechtsanspruch = steuerpflichtig
Trinkgeld ist nicht steuerfrei, wenn ein verbindlicher Anspruch besteht, z. B. durch Bedienungszuschläge, Servicepauschalen oder das sogenannte Metergeld im Transportwesen.

💳 Trinkgeld bei Kartenzahlung
Auch Trinkgeld per EC-/Kreditkarte oder über Apps (PayPal, SumUp etc.) ist steuerfrei – sofern es

getrennt vom Rechnungsbetrag verbucht wird,

nachvollziehbar dem Mitarbeiter zugeordnet werden kann,

und zeitnah ausgezahlt wird.

3. Arbeitsrechtliche Aspekte und Verteilung
🧍‍♂️ Zugehörigkeit zum Mitarbeiter
Trinkgeld ist ausschließlich dem Mitarbeiter zugewiesen, der die Leistung erbracht hat – nicht dem Arbeitgeber.

👥 Trinkgeldpools / Gemeinschaftstöpfe
Gemeinsame Verteilung (z. B. Küche & Service) ist zulässig, muss aber:

transparent organisiert sein,

freiwillig erfolgen,

und nicht vom Arbeitgeber verwaltet werden (kein Abzug von Verwaltungskosten).

LAG Berlin-Brandenburg 2020 (Az. 10 Sa 1642/19): Der Arbeitgeber darf keine „Provision“ vom Trinkgeld einbehalten.

⚖️ Verstöße
Das LAG Mainz (2010) stellte klar: Einbehaltenes Trinkgeld kann eingeklagt werden – Arbeitnehmer haben einen Anspruch auf die vollständige Auszahlung.

4. Sonderfälle und aktuelle Herausforderungen
👔 Trinkgeld an Selbstständige & Inhaber
Gilt als steuerpflichtige Betriebseinnahme (§ 15 EStG)
– da es keine Schenkung an einen Arbeitnehmer darstellt.

🪙 Alternative Zahlungsformen
Jetons, Token oder Kryptowährungen gelten beim Umtausch in Geld als steuerpflichtige Einnahme (§ 23 EStG: privates Veräußerungsgeschäft).

🧾 Steuerprüfungen
Finanzämter prüfen branchenübliche Trinkgeldmengen kritisch.
Bei fehlender oder unsauberer Dokumentation drohen Schätzungen und Nachzahlungen.

5. Praxistipps für Gastronomiebetriebe
✅ Vertragliche Regelung:
Servicepauschalen und Bedienungszuschläge müssen im Arbeitsvertrag klar als steuerpflichtiger Lohnbestandteil ausgewiesen sein.

✅ Transparenz bei Trinkgeldpools:
Dokumentiere genau: Wer hat wann wie viel erhalten? – schützt bei Prüfungen.

✅ Digitale Erfassung:
Moderne Kassensysteme (DATEV, Lexware, Orderbird etc.) ermöglichen die separate Buchung und Zuordnung von Trinkgeld.

✅ Mitarbeiterschulung:
Sensibilisiere dein Team zu den Unterschieden zwischen steuerfreiem Trinkgeld und steuerpflichtigen Zuschlägen – besonders bei Kartenzahlung oder Poolmodellen.

🧾 Fazit
Trinkgelder sind in der Gastronomie nach wie vor steuerfrei, wenn sie freiwillig, ohne Rechtsanspruch und direkt vom Kunden an den Mitarbeiter gezahlt werden.

Doch die rechtlichen Feinheiten und die technische Umsetzung – vor allem bei Kartenzahlung und Teamverteilung – bergen viele Stolperfallen. Gastronomiebetriebe sollten die Regeln genau kennen und konsequent dokumentieren, um finanzielle und rechtliche Risiken zu vermeiden.

🔮 Ausblick: Entwicklungen & Debatten
EU-Harmonisierung:
Aktuell gibt es keine konkreten Initiativen der Europäischen Union zur vereinheitlichten Besteuerung von Trinkgeldern. Die steuerliche Behandlung fällt weiterhin in den Zuständigkeitsbereich der einzelnen Mitgliedstaaten.

Obwohl die EU-Kommission in ihrem Arbeitsprogramm für 2025 verschiedene steuerpolitische Maßnahmen plant – etwa zur Spar- und Investitionsunion – ist Trinkgeld bislang kein Thema.

👉 Das bedeutet: Jedes EU-Land entscheidet weiterhin selbst, ob und wie Trinkgeld steuerlich behandelt wird. Eine europaweite Regelung bleibt vorerst unwahrscheinlich.

Digitalisierung & Transparenz:
Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) fordert klare gesetzliche Regelungen zur Behandlung digitaler Trinkgelder, z. B. bei Kartenzahlung oder Trinkgeld-Apps. Ziel ist mehr Rechtssicherheit für Arbeitgeber und Beschäftigte.



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